In diesem Absatz möchten wir euch berichten, wie unsere bisherige Aufarbeitung seit Januar 2020 verlief, an welchen Treffen wir teilgenommen und mit welchen Themen wir uns auseinandergesetzt haben.
Was vor Januar 2020 passiert ist und vielleicht für euch relevant für das Verständnis der Darstellungen hier im Text sein könnte, könnt ihr unter anderem hier auf diesem Blog und auf www.monisrache.wtf lesen
Wir fangen den Bericht mit den ersten Vollversammlungen von Monis Rache 2020 an, weil hier für uns einige Gefühle und Prozesse entstanden sind, die für die weiteren Ereignisse und die anschließende Aufarbeitung ausschlaggebend waren und die wir im Folgenden versuchen wollen zu beschreiben. Der Bericht ist also eine Mischung aus eher wenig emotionalen Beschreibungen davon, was passiert ist einerseits und emotionaleren Passagen, in denen wir auf unsere eigene Wahrnehmung dieser Situationen eingehen.
4. Januar 2020: Monis Rache Vollversammlung (Berlin)
Vorbereitend auf dieses Treffen mit der Monis Rache Crew haben wir uns mit zwei Mediator*innen getroffen und Ende Dezember die gesamte Crew auf dieses besondere Thema der Vollversammlung hingewiesen. Einige von uns haben ihr Bedürfnis, diesen Schritt möglichst bald zu gehen, schon im Oktober 2019 vehement geäußert. Letztendlich haben sich andere Stimmen, die z.B. erst eine Beratung in Anspruch nehmen wollten, durchgesetzt.
In Begleitung der Mediatorinnen vom Kollektiv Zwischen*räume informierten fünf Personen der EKG einen Kreis von ca. 30 Personen der Monis Crew (die anwesenden Personen der Vollversammlung) über die Tat von H., die geplante Reportage von Strg_f und unser Handeln der letzten Monate. Gemeinsam vereinbarte die Vollversammlung
(1.) möglichst viele Crew-Mitglieder von Monis Rache zu informieren,
(2.) ein Statement zu der aktuellen Situation und dem Vorfall zu erarbeiten, um nicht Patrizia Schlosser und ihrer Reportage diese Verantwortung zu überlassen und
(3.) Initiativen für Betroffene sexualisierter Gewalt und Gruppen zu informieren, damit es eine gut vorbereitete Betroffenenarbeit geben kann.
Patrizia Schlosser (Reporterin Strg_f) hatte die Veröffentlichung ihrer Reportage für Ende Januar, Anfang Februar angekündigt.
Den Namen des Täters gaben wir nicht an die Anwesenden weiter. *
Die Versammlung verlief aus unserer Sicht erstaunlich ruhig. Natürlich waren viele langjährige Freund*innen, Bekannte und Kolleg*innen geschockt und verletzt, was vor allem die fünf Personen der EKG noch zusätzlich zu ihrer Verantwortung für diesen Schritt ziemlich mitnahm. Aber die Anwesenden waren überwiegend verständnisvoll und dankbar für unser Handeln. Das gab uns Zuversicht und Hoffnung für einen guten weiteren Verlauf.
* Darauf hatten wir uns im Vorhinein geeinigt, weil wir befürchteten, dadurch den Kontakt zum Täter für einen späteren Aufarbeitungsprozess mit Betroffenen zu verlieren und auch seinen Erkenntnis- und Einsichtsprozess zu gefährden. Über einige Infobroschüren kamen wir zu dem Konzept „Transformative Justice“, das irgendwie überzeugend wirkte. Es passte auf den ersten Blick zur kritischen Haltung von einigen von uns gegenüber der sozialen und gesellschaftlichen Wirkungsweise und Praxis staatlicher Strafverfolgung und kam unseren Gedanken an einen Aufarbeitungsprozess sehr nah, der unserer Ansicht nach mit Täter und Betroffenen hätte stattfinden sollen. Leider hatten wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgiebig mit diesem Konzept und möglichen Alternativen wie dem restorative Justice Konzept auseinandergesetzt, die letztendlich viele einforderten. Rückblickend gesehen überschätzten wir unser Urteils- und Handlungsvermögen, was durch Loyalitätskonflikte und viele soziale/emotionale Bindungen nicht nur zum Täter, sondern auch zu Betroffenen und Menschen aus der Monis Crew beeinflusst war. Hinzu kam tatsächlich auch eine gewisse Angst vor einer Selbstjustiz aus linken Strukturen.
7. Januar 2020: Veröffentlichung der Reportage "Spannervideos"
Auf dem YouTube-Kanal von Strg_f wurde die Reportage von Patrizia Schlosser plötzlich doch schon hochgeladen. Eine Stunde vorher teilte sie dies per Mail der sog. EKG mit.
Viele Moni Crew-Mitglieder waren bis dato noch nicht über den aktuellen Stand und die Vollversammlung vom 4. Januar informiert. In dieser überraschenden und überfordernden Situation wurde spontan ein Statement verfasst und auf der Kommunikationsplattform der Monis Rache Crew geteilt. Ohne großartiges Feedback wurde der von mehreren Personen der sog. EKG verfasste Text veröffentlicht.
Es folgten diverse Gespräche mit Einzelpersonen und Gruppen - unter anderem mit Menschen aus der Monis Rache Crew, im Arbeitskontext oder im Wohnumfeld wie beispielsweise im Leipziger Wohnprojekt, in welchem u.a. der Täter und vier Menschen der sogenannten EKG wohnten.
Die Ereignisse und Gespräche überschlugen sich - uns wurde Wut und Empörung entgegengebracht und wir hatten das Gefühl, nun doch alles falsch gemacht zu haben, uns erklären, verteidigen und rechtfertigen zu müssen. Völlig überfordert, versuchten wir möglichst viele Informationen zu teilen, unser Handeln zu erklären und nach Fehlern zu suchen. Wir signalisierten unsere Gesprächsbereitschaft und unser Bedürfnis nach gemeinsamer Aufarbeitung.
11. Januar 2020: Monis Rache Vollversammlung (Leipzig)
Der wesentliche Teil dieser Versammlung fand ohne uns statt, um ohne unsere Einflussnahme und Nähe zum Täter über die Situation und die nächsten Schritte sprechen zu können. Außerdem wurde uns von einem Teil der Gruppe Misstrauen entgegengebracht. Die Mediator*innen vom 4. Januar waren wieder dabei.
Während ca. 20-30 Personen diskutierten und anfingen ein Statement zu formulieren, liefen wir durch die Stadt und zerbrachen uns die Köpfe mit unseren Fragen, wie die anderen wohl auf uns reagieren werden, was sie als nächstes tun werden und wie es für uns weiter gehen könnte.
Zum Ende der Vollversammlung trafen wir uns draußen mit den anderen Crew-Mitgliedern und nahmen im Anschluss an einer Abschlussrunde teil, in der wir alle unsere Bedürfnisse und Gefühle mitteilten. Dann ließen wir auf Wunsch der VV den verbliebenen Rest der Crew mit der Erarbeitung der Stellungnahme wieder allein. Die Stimmung war emotional angespannt. Einige Menschen wandten sich entschieden von uns ab, andere lagen sich weinend in den Armen. Es war ein Gefühl von Chaos, aber auch noch einer gewissen Nähe zwischen uns und den anderen Crew-Mitgliedern.
Ab hier waren wir die "Erst-Kenntnis-Gruppe". Irgendwer hatte sich diesen Namen am Ende der Versammlung ausgedacht und das Bedürfnis nach einer Bezeichnung für diese Gruppierung war deutlich spürbar.
Im Anschluss an die Veröffentlichung des nächsten Statements der sog. EKG auf der Monis Rache Webseite, das sofort zerrissen wurde, wuchs die öffentliche Empörung über das Verhalten von uns und der Monis Rache Crew. Der Prozess verselbstständigte sich und es entstanden Gefühle von Hilflosigkeit, Überforderung und Distanz bei uns.
Redeten wir viel miteinander in diesen Tagen? Keine Ahnung, einzelne sicherlich schon, andere zogen sich eher zurück. Die ganze Sache fing an, weitere Kreise zu ziehen - Zeitungsartikel, Gespräche im Arbeitskontext, die Clicks auf YouTube stiegen immer weiter an. Eine öffentliche Auseinandersetzung zu dem Vorfall und über das Thema im Allgemeinen hatten wir erwartet und finden wir gut. Das wollten wir von Anfang an. Aber die Schnelligkeit und Härte, mit der diskutiert und geurteilt wurde, war überfordernd.
18. Januar 2020: Monis Rache Vollversammlung (Berlin)
Weil wir mittlerweile als Gefährder*innen für eine Arbeit mit und für Betroffene gesehen wurden und dies auch so empfanden, nahmen wir an den Vollversammlungen und der Aufarbeitung der Monis Crew grundsätzlich nicht mehr teil. Für diese Vollversammlung war jedoch eine Befragung der EKG geplant, um die für ein neues langes Statement und die Betroffenenarbeit relevanten Informationen zu sammeln. Nach einigem Warten in einem Café irgendwo in Neukölln, wurden wir (4 Personen) in die Versammlung gebeten.
Ca. 30-40 Crew-Mitglieder saßen uns gegenüber und befragten uns zu unserem Handeln und den Entscheidungen, die wir in dem Prozess bis Anfang Januar getroffen hatten. Es wurde betont und versucht, die Befragung möglichst rücksichtsvoll durchzuführen. In dem Versuch möglichst sachlich zu bleiben, wurde Frage auf Frage vorgelesen.
Verkrampft versuchten wir, möglichst umfangreich und klar zu antworten - ab und zu brachen einige in der Versammlung in Tränen aus. Das war die einzige Emotionalität, die wir in dieser Versammlung miteinander teilten. Nachdem die Befragung durch war, hielten sich einige Leute noch im Arm. Anschließend ging die Versammlung ohne uns weiter.
Weitere offizielle Gespräche mit der Monis Rache Crew fanden danach bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht statt.
Ende Januar bis Mai 2020
Soziale Beziehungen, Kulturräume, Wohnprojekte, Arbeits- und Freizeitgruppen und linkspolitische Projekte formulierten Ausschlüsse und Hausverbote. Fünf Menschen verloren ihr zu Hause und mussten teilweise in Anbetracht von Anfeindungen und Ausschlüssen den Wohnort verlassen.
Die vielseitige Aufregung über unser Handeln konnten wir mittlerweile in vielen Teilen nachvollziehen. Die Annahme und Abwehr der Vorwürfe und Kritik hat sich bei jeder und jedem von uns unterschiedlich gestaltet. Gleichzeitig hatten wir das Bedürfnis nach Aufarbeitung, waren jedoch überwiegend von dem Kontakt zu Betroffenen und Crew-Mitgliedern abgeschnitten. Deshalb entschieden wir uns für Stellungnahmen unsererseits und einen öffentlichen Blog, über den wir unsere Verarbeitungsprozesse, Bedürfnisse, Fehler und Verantwortungsübernahme transparent machen können würden.
Noch im Januar und Anfang Februar kamen wir zweimalig für mehrere Tage zusammen, um intensiv an den Texten zu arbeiten, die wir auf unserem Blog https://oeffentlichkeitsarbeit-ekg.blogspot.com/ veröffentlichten. Wir haben lange über das richtige Medium diskutiert. Weil nur noch Einzelpersonen und ganz selten noch eine Gruppe mit uns überhaupt kommunizieren wollte, war der Blog für uns das geeignete Medium.
Die Unzufriedenheit und Erschütterung in Anbetracht unserer neuen Situationen und Ausgrenzungen und natürlich die Corona-Pandemie brachten erstmal eine Zwangspause in unsere weitere gemeinsame Verarbeitung der Ereignisse.
Wir eröffneten eine Telegram-Gruppe mit fast allen Mitgliedern, aus der jedoch zeitweise immer wieder Leute austraten aufgrund von persönlicher Überforderung. Mittlerweile nutzen wir diese Telegram-Gruppe nur noch, um Treffen zu vereinbaren oder wichtige Informationen zu teilen. Für einen ausführlichen Austausch, in dem auch immer Emotionen eine Rolle spielen, ist das kein gutes Medium.
In ein paar Videokonferenzen vereinbarten wir, professionelle Unterstützung aufzusuchen und am Ball zu bleiben. Einige von uns führten individuell Gespräche mit Einzelpersonen, schrieben Stellungnahmen oder zogen sich zurück in den Austausch mit noch verbliebenen engen Freund*innen.
Ende Mai 2020: Supervision (Leipzig)
Mit der gesamten sogenannten EKG trafen wir uns zu einer zweitägigen Supervision mit Ursula Schmieg, einer Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Supervision, Mediation und Beratung, die vor allem in schwierigen Gruppendynamiken Hilfe anbietet, in Leipzig. An diesem Treffen waren das erste Mal alle von "uns"(sog. EKG) beteiligt. Das Ziel der Supervision war es, mehr Klarheit über unsere Reaktionen und unser Handeln zu bekommen und uns in unseren Positionen zu stabilisieren.
Am ersten Tag beschäftigten wir uns überwiegend mit der Rekonstruktion der Ereignisse seit September 2019, mit den Konsequenzen und unseren jeweiligen Empfindungen dazu. Es ging hauptsächlich um unsere damaligen persönlichen Situationen, die geprägt waren von Beziehungsabbrüchen, Ausschlüssen, Vorwürfen und Unsicherheiten.
Weiterhin thematisierten wir unseren Wunsch nach Rehabilitation, insbesondere in linken Gruppen und Räumen in Leipzig und Berlin, welche uns seither aus diversen Lokalen und Vereinen ausschließt.
Das Ergebnis der Supervision war diesbezüglich ernüchternd und stellt sich verbildlicht wie folgt dar: Uns wurden die Türen für einen Austausch über Bedürfnisse und Empfindungen verschlossen. Wenn uns die Türen durch unser Gegenüber nicht wieder geöffnet werden, ist ein Versuch der Annäherung vergeblich. Wir rennen nur immer wieder erneut gegen die verschlossenen Türen. Das führte immer wieder zu Schmerz und ein Austausch auf Augenhöhe ist erst möglich, wenn die Menschen, die uns ausschließen und verurteilen dazu ihre Bereitschaft zeigten. Uns wurde damals angeraten, diese Situation zu akzeptieren und sich lieber mit Care- und Trauerarbeit über verlorene Beziehungen zu beschäftigen.
Mai bis November 2020
Alle Einzelpersonen beschäftigten sich individuell und/oder in kleinen Gruppen mit Aufarbeitungsarbeit und führten Gespräche in jeweiligen sozialen Umfeldern. Wir recherchierten nach professioneller Unterstützung und setzten uns mit Veröffentlichungen sowie Texten in der Presse und in linken Kanälen auseinander. Eine weitere Supervision fand in diesem Zeitraum nicht statt.
5-7. November 2020: Workshop zum weiteren gemeinsamen Vorgehen
Mit Rehzi Malzahn, auf die wir aufmerksam wurden durch den Artikel "Eine andere Konfliktkultur aufbauen" (Jungle World 29 v. 16. Juli 2020, S. 18) haben wir (7 Personen) diskutiert und erarbeitet, wie wir unsere Erkenntnisse öffentlich kommunizieren können. Innerhalb von zwei Tagen ging es darum, unsere jeweiligen Verarbeitungsprozesse zu sammeln und zu überlegen, wie eine Aufarbeitung der Geschehnisse zusammen mit Kritiker*innen und u.U. Betroffenen aussehen kann.
Vorbereitend auf das Treffen bauten wir über Rehzi Malzahn Kontakt zu Betroffenengruppen auf, um über unsere Zusammenarbeit zu informieren. Von diesen Gruppen wünschten wir uns Anregungen für unsere zweitätige Arbeit und für unseren weiteren Aufarbeitungsprozess. Im Hinblick auf die Wiederherstellung eines Austauschs baten wir um die Mitteilung ihrer Wünsche, Interessen, Bedenken und Bedürfnisse, aber auch um Vorwürfe, Kritik und Fragen über unser Handeln.
Am ersten Tag berichteten wir erneut über den gesamten Verlauf der Ereignisse, über unsere Gefühle und Erkenntnisse. Wir sammelten die Vorwürfe, die uns gemacht werden und die Verantwortung, die wir für unser Handeln und gegenüber Betroffenen übernehmen wollen. Dieser erste Tag war enorm anstrengend, weil wir alles Verletzende und Fehlerhafte aufs Neue hochholen mussten. Es war aber nötig als Grundlage für den zweiten Tag.
Rehzi erzählte uns einige Grundlagen zu Restorative Justice im Vergleich zu Transformative Justice und wir diskutierten über die Konflikt- und Verarbeitungskulturen in linken Strukturen.
Am zweiten Tag ging es vor allem um mögliche Formate der Aufarbeitung und die Textarbeit als unser aktuell einziges wirksames Mittel der gemeinsamen Kommunikation nach außen. Wir machten Textübungen und sammelten beim Betrachten der Ergebnisse vom Vortag die wesentlichen Punkte für einen neuen Text zusammen. Außerdem sprachen wir länger über das Thema Machtdynamiken und wie unsere unterschiedlichen Rollen und Verantwortungsübernahmen sich auf die Vorgänge ausgewirkt haben könnten.